Russische Truppen morden im Kaukasus

Neue Belege für Kriegsverbrechen an Tschetschenen

Von Florian Hassel

Die russischen Truppen in Tschetschenien begehen weiterhin massive Kriegsverbrechen und werden dabei von der Militärführung gedeckt. Dies ist das Ergebnis einer gemeinsamen Recherche der Frankfurter Rundschau und der Süddeutschen Zeitung in der Kaukasusrepublik. Es handelt sich um Folter und Mord an Zivilisten und um die systematische Ausplünderung Tschetscheniens.

MOSKAU / GROSNY, 9. Oktober 2000.

Erstmals liegen Dokumente aus der von Russlands Präsident Wladimir Putin eingesetzten "Übergangsverwaltung für Tschetschenien" vor, die belegen, dass Zivilisten von russischen Soldaten und Polizisten willkürlich festgenommen, gefoltert und ermordet werden. Eines der jüngsten Beispiele dafür, dass die Militärführung Straftaten deckt, ist der Tod einer jungen Frau aus Grosny. Sie wurde am 25. September von marodierenden Soldaten erschossen. Der russische Militärkommandant für Tschetschenien, Generalleutnant Iwan Babitschew, bezeichnete Berichte über den Mord einen Tag später gegenüber der russischen Agentur Interfax als "pure Lüge", die der Propaganda der Rebellen diene.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Ermittlungsbehörden von Grosny die zuständige russische Militärstaatsanwaltschaft bereits zur Verfahrenshilfe aufgefordert. Unter Verdacht stehen Soldaten einer Sondereinheit des russischen Innenministeriums aus Saratow. Dem Schreiben zufolge sind sowohl die Einheit als auch die Namen der beteiligten Soldaten und deren Waffennummern bekannt. Der Vorfall wurde der Frankfurter Rundschau und der Süddeutschen Zeitung zudem von einem Vize-Bürgermeister von Grosny bestätigt, der befürchtet, dass die russischen Behörden "das Verbrechen, wie schon in anderen solchen Fällen, vertuschen". Weder die russische Polizei noch die Staatsanwaltschaft oder der Geheimdienst beteiligten sich an der Aufklärung solcher Verbrechen, stellen Mitarbeiter der pro-russischen Verwaltung übereinstimmend fest. Die Dokumente, die FR und SZ vorliegen, zeigen außerdem, dass russische Offiziere in großem Umfang an Raub und illegalem Handel mit tschetschenischem Erdöl und Metallen beteiligt sind. Dabei wird die kriegsgeschädigte Infrastruktur derart ausgeplündert, dass die tschetschenische Verwaltung den völligen Zusammenbruch voraussagt. Der Schaden für den Energiesektor habe allein im ersten Halbjahr 2000 knapp zwei Milliarden US-Dollar betragen, heißt es in einem tschetschenischen Regierungsbericht "Über die Lage im Energiebereich". So werden hochwertige, gerade erst verlegte Stromleitungen aus Aluminium unter Beteiligung des Militärs tonnenweise gestohlen. "Wir bauen, sie klauen", sagte der Vize-Direktor der Stromwerke von Grosny, Sawalu Imajew, der FR und der SZ. Das Militär sabotiert außerdem den Wiederaufbau der Ölindustrie. Allein im September schossen Militärhubschrauber mehrere Ölquellen in Brand, wie aus einem Report an den Militärkommandanten Tschetscheniens hervorgeht. Militärische Gründe lagen dafür offenbar nicht vor. Moskau behindert jede unabhängige Berichterstattung aus Tschetschenien. Korrespondenten können im Regelfall die Kaukasusrepublik nur unter Aufsicht russischer Offiziere bereisen. Die Recherche von FR und SZ fand ohne derartige Kontrolle statt.

Beide Zeitungen veröffentlichten ab Oktober 2000 eine Serie über die Lage in Tschetschenien. Einige dieser Artikel haben wir ausgewählt und veröffentlichen sie mit Einverständnis der Frankfurter Rundschau auch im Rahmen unseres Projektes.


Quellennachweis

http://www.fr-aktuell.de



 

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Tschetschenien-Konflikt

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Stand: 01-03-01
Aktuelle Bearbeiter: Mehmet Sanlier (1999/2001)
Datei: tschetc/tschetc.htm