Keine verdächtigen Spuren im kaukasischen Schnee

An der georgischen Grenze zu Tschetschenien herrscht gespannte Ruhe / 42 OSZE-Beobachter im Hochgebirge

Von Karl Doemens (Tiflis)
Aus der Frankfurter Rundschau

Die Szenerie wirkt wie ein perfektes Alpenidyll. Mächtig ragen die schneebedeckten Felsgipfel in den blauen Himmel. Nur ein waldiger Bergrücken trennt sie von dem Hochplateau mit zwei Dutzend hölzernen Almhütten. Als der Helikopter vom russischen Typ MI-8 auf einer Wiese aufsetzt, fliehen ein paar braune Kühe vor dem Luftdruck der ratternden Rotoren. Doch wie weit die Realität im Kaukasus-Dorf Omalo von ländlicher Beschaulichkeit entfernt ist, lassen bereits die mit Kalaschnikows bewaffneten Soldaten erahnen, die einen gewaltigen Sendemast unweit des improvisierten Hubschrauberlandeplatzes bewachen. Über die Satellitenanlage halten zivile Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Kontakt zur weit entfernten Außenwelt. Ihre uniformierten Beschützer aber gehören zur Armee Georgiens, das sich 1990 von Russland losgesagt hat. Acht Kilometer sind es von Omalo bis zur Grenze des übermächtigen Bruders im Norden. Dahinter beginnt jene Teilrepublik, deren Name seit dem Bombardement der Hauptstadt Grosny zum Synonym für russische Kriegsverbrechen geworden ist: Tschetschenien.

Genau 81 Kilometer windet sich die Grenze zwischen dem unabhängigen Georgien und Tschetschenien in 2000 bis 4500 Meter Höhe durch den schwer zugänglichen Kaukasus. Und die 42 OSZE-Beobachter in Omalo sowie zwei weiteren Gebirgs-Stützpunkten haben den schwierigen Auftrag, diesen Streifen Tag und Nacht zu überwachen und jede Bewegung von Menschen oder Material zwischen den Ländern unverzüglich der Zentrale in Wien zu melden. Im vergangenen Herbst nämlich hatten russische Medien und Politiker massive Vorwürfe gegen Georgien erhoben: Von seiner Seite aus würden tschetschenische Rebellen mit Waffen, Munition und anderen Hilfsmitteln unterstützt. Moskau drohte mit eigenen Truppen gegen die vermeintlichen Widerstandsnester im Süden vorzugehen.

In dieser gefährlich aufgeheizten Atmosphäre setzte der Ständige Rat der OSZE im Dezember 1999 die zivile Grenztruppe ein, deren Mandat nach zweimaliger Verlängerung vorerst bis zum April 2001 läuft. "Der Job verlangt einen enormen physischen Einsatz", berichtet Generalmajor Bernd Lubenik. Der umgängliche Österreicher, der zuvor zwei Jahre lang Kommandant der UN-Mission in der Westsahara war, leitet die Überwachungsoperation. Deren Teilnehmer aus 19 Ländern sind jeweils für drei Wochen im Monat in den Bergen von der Außenwelt abgeschlossen. Zwar führt von Omalo eine Piste in die Hauptstadt Tiflis. Doch die Fahrt dauert im Sommer sieben Stunden. Seit zwei Wochen ist der 3200 Meter hohe Pass zudem vollkommen zugeschneit. Lubenik hat für seine Leute eigens ein Alpintraining organisiert. Zwei bis zehn Stunden am Tag patrouillieren die Beobachter täglich in Regionen über der 3000-Meter-Grenze. Zweimal in der Woche muss jeder bei Temperaturen von minus zehn bis minus 20 Grad im Zelt übernachten. Doch trotz dieses großen Aufwands hat die OSZE bislang keine Belege für die russischen Vorwürfe gefunden. "Keine Bewegung am Boden", lautet die knappe Auskunft des Hauptquartiers in Tiflis. Ohnehin könnte die Grenze in dem unwegsamen und kaum besiedelten Hochgebirge nach Meinung westlicher Experten mit schwerem Gerät nur an einer einzigen Stelle durchquert werden: im nördlichen Argun-Tal.

Dort wie auch an anderen neuralgischen Punkten haben die Russen auf der tschetschenischen Seite aber ein massives Aufgebot von Soldaten und Fallschirmjägern positioniert. Insgesamt 3000 Mann sollen die 81 Kilometer kurze Grenze auf der anderen Seite sichern. Georgien kann gerade mal 300 Soldaten aufbieten, und viele von ihnen haben seit Monaten keinen Sold mehr erhalten. Zwar halten es westliche Experten nicht für hundertprozentig ausgeschlossen, dass sich ein tschetschenischer Einzelkämpfer nachts - wenn die Sichtgeräte der OSZE-Beobachter nur unzulänglich funktionieren - auf die georgische Seite durchschlägt. Doch für einen systematischen Waffentransport gibt es keine Anzeichen. Auch der georgische Präsident Eduard Schewardnadse wies die Vorwürfe Anfang dieser Woche erneut zurück. "Wir haben zwar gewisse Probleme mit der russischen Föderation", sagte er, "aber wir tun alles, um ein Übergreifen des Tschetschenien-Konfliktes auf unsere Seite zu verhindern." Zweimal wurde in den vergangenen Monaten nachts auf die OSZE-Station geschossen. Die Hintergründe liegen im Dunkeln. Ansonsten ist es scheinbar ruhig im Kaukasus-Nest Omalo. "Manchmal wird es ein bißchen langweilig", berichtet der Schwede Lars Olven, der seit sechs Monaten im Hochgebirge eingesetzt ist. Auch Lubenik wurde in Wien schon einmal gefragt, ob er seine Berichte nicht etwas spannender schreiben könne. Doch: "Es passiert nichts", berichtet Olven. Genau das ist schließlich das Ziel der OSZE-Mission. "Insofern finde ich, sind wir erfolgreich", resümiert der 42-Jährige und packt seinen Rucksack für die nächste Schnee-Patrouille.


Quellennachweis

http://www.fr-aktuell.de



 

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Stand: 01-03-01
Aktueller Bearbeiter: Mehmet Sanlier (1999/2001)
Datei: tschetc/reports/spuren6.htm